Wenn alles klingt, aber nichts mehr spricht
Die digitale Welt erlebt einen paradoxen Moment: Noch nie war es so einfach, Inhalte zu produzieren – und noch nie war die Müdigkeit gegenüber diesen so groß. Texte, Bilder, Stimmen, Podcasts, ganze Kanäle entstehen heute auf Knopfdruck. Was einst Ausdruck kreativer, persönlicher oder journalistischer Arbeit war, kann nun in industrieller Geschwindigkeit synthetisch vervielfältigt werden. Doch genau diese Überfülle erzeugt ein neues gesellschaftliches Gefühl: Erschöpfung. Ein Überdruss an Inhalten, die alles nachahmen, aber nichts meinen.
Um diesen Frust zu verstehen, ist eine differenzierte Betrachtung notwendig. ➜ Nicht jede Nutzung von KI ist gleich – und nicht jede KI-Beteiligung hat die gleichen Konsequenzen für Qualität, Wahrnehmung und Wirkung.
Ein erster, oft missverstandener Bereich ist die KI-gestützte Textformulierung. Dabei entsteht der Inhalt zunächst aus einem menschlichen Denkprozess: Die Themen, Thesen, Erkenntnisse, Argumente, das Ringen um Perspektiven und Fragen sind genuin menschlich. Nur der letzte Schritt – die sprachliche Ausformulierung, Glättung oder Strukturierung – wird von der KI unterstützt. ➜ Diese Nutzung ist kein Ersatz für Denken, sondern ein Werkzeug.
Gerade im Journalismus wird diese Unterstützung zunehmend unverzichtbar. Redaktionen arbeiten unter enormem Zeitdruck, sparen an Personal, verdichten Zuständigkeiten. Häufig bleibt nach intensiver Recherche schlicht keine Zeit mehr für das mühsame Feilen an Sätzen, für das sprachliche Polieren, das früher ein eigener Teil des Handwerks war. Wenn hier KI eingesetzt wird, ist das kein Verlust, sondern eine Rettung des Wesentlichen: Sie ermöglicht es, dass ➜ Recherche, Wahrheitsprüfung und thematische Tiefe weiterhin im menschlichen Verantwortungsraum bleiben, während die Maschine den sprachlichen Feinschliff übernimmt. Hier verstärkt KI die menschliche Arbeit, sie ersetzt sie nicht.
Fundamental anders verhält es sich bei der zweiten, dominanter werdenden Form: der vollautomatisierten Inhaltserzeugung, die weder einen menschlichen Urheber noch ein inhaltliches Anliegen besitzt. Diese Türen zwischen menschlicher Intention und digitaler Öffentlichkeit werden weit geöffnet, allein um Klicks, Aufmerksamkeit und Werbeerlöse abzufangen. ➜ Themen werden nicht gewählt, weil sie relevant wären, sondern weil sie algorithmisch verwertbar sind. ➜ Inhalte werden nicht erzählt, sondern erzeugt. ➜ Kreativität wird nicht entfaltet, sondern simuliert.
Diese Art der Produktion führt zu einer Entleerung des Öffentlichen. Was nach Bedeutung aussieht, ist oft nur Muster-Imitation. Das Resultat ist Überangebot ohne Substanz: tausendfach kopierte Stile, obsessive Optimierung auf Aufmerksamkeit, synthetische Stimmen mit Namen, die nie geboren wurden, Persönlichkeiten, die nie existierten, und Inhalte, die zwar sprechen, aber nichts zu sagen haben. Für viele Menschen fühlt sich diese Entwicklung nicht wie Fortschritt an, sondern wie ein Verlust: Der Verlust des Gegenübers, des Echten, des Unvorhersehbaren, des Unperfekten, das erst Verbindung möglich macht.
Der zunehmend spürbare Frust entsteht also nicht, weil Inhalte maschinell unterstützt werden – sondern weil ihnen oft kein Mensch mehr vorausgeht. Es ist der Verlust des „Jemand dahinter“, der sich in immer mehr digitalen Produkten zeigt. Was die Maschine nicht simulieren kann, ist nicht sprachliche Perfektion, sondern Intention, Haltung, warme Imperfektion, Position, Risiko und Biographie. Menschen ermüden nicht an Technologie, sondern an Meaninglessness.
Interessanterweise kehrt sich das kulturelle Bewertungssystem bereits langsam um: Während „hochpoliert“ lange als Qualitätskriterium galt, wächst nun die Sehnsucht nach dem Gegenteil. Nach Rohheit, nach erkennbarer Handschrift, nach subjektiven Einschätzungen, die sich angreifbar machen, nach Stimmen, die nicht algorithmisch optimiert sind, sondern persönlich geprägt. Menschlichkeit entwickelt sich paradoxerweise zur neuen Veredelungsmarke in der digitalen Welt.
Die eigentliche Debatte sollte deshalb nicht lauten: KI oder keine KI? Sondern: ➜ Welche Rolle spielt der Mensch in der Entstehung eines Inhalts? Ist er Ursprung, Urheber, Prüfer und Verantwortlicher – oder nur noch Zielgruppe eines synthetisch optimierten Outputs, der geschaffen wurde, um ihn zu beeinflussen, nicht um ihn zu bereichern?
Die Zukunft digitaler Inhalte wird nicht im Spannungsfeld zwischen Mensch oder Maschine entschieden, sondern in der Fähigkeit, die Rollen klar zu trennen: KI als Werkzeug für menschliche Botschaften – sinnvoll, legitim, notwendig. KI als Ersatz für menschliche Anliegen – seelenlos, redundant, ermüdend.
Der Frust, den viele heute erleben,
ist somit kein Rückschlag,
sondern ein Korrektiv.
Er ist das erste kollektive Signal dafür, dass Menschen nicht nur informieren wollen, sondern resonieren. Nicht nur konsumieren, sondern sich begegnen. Nicht nur Inhalte, sondern Bedeutung suchen.
Am Ende wird nicht die beste Technologie gewinnen, sondern jene Phase des Digitalen, in der wieder erkennbar ist: ➜ Da denkt jemand. Da fühlt jemand. Da hat jemand etwas zu verlieren. Oder zu sagen.
Nicht alles, was erzeugt werden kann, sollte erzeugt werden.
Und nicht alles, was klingt, spricht auch.
2025-11-07